Literaturnachweis - Detailanzeige
Autor/inn/en | Hauck, Teresa; Trescher, Hendrik |
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Titel | Pädagogisches Handeln in der Behindertenhilfe mit Adorno verstehen. |
Quelle | Aus: Andersen, Sabine (Hrsg.); Nittel, Dieter (Hrsg.); Thompson, Chrstiane (Hrsg.): Erziehung nach Auschwitz bis heute: Aufklärungsanspruch und Gesellschaftsanalyse. (2020) S. 275-289
PDF als Volltext |
Sprache | deutsch |
Dokumenttyp | online; gedruckt; Sammelwerksbeitrag |
ISBN | 3982045479; 978-3982045474 |
Schlagwörter | Fremdbestimmung; Inklusion; Wohnen; Bürokratie; Nationalsozialismus; Behindertenhilfe |
Abstract | (Orig:) 1. Hinführung Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, inwiefern Strukturen und Praxen der stationären Behindertenhilfe mit Adornos "Erziehung nach Auschwitz" (1966/1971a) (neu) verstanden werden können. Dabei soll problematisiert werden, inwiefern pädagogisches Handeln in der Behindertenhilfe - hier vergegenständlicht am Beispiel des stationären Wohnens von Menschen mit geistiger Behinderung - sich oftmals in totalen Strukturrahmen, fremdbestimmenden Praxen sowie einer drohenden Institutionalisierung und Bürokratisierung vollzieht (siehe u.a. Trescher, 2017a, S. 161-162). Diese Strukturmerkmale können im Lichte dessen gelesen werden, was Adorno als "Prinzip von Auschwitz" (Adorno, 1966/1971a, S. 93) charakterisiert und als Ermöglichungsbedingungen totaler Herrschaft versteht. Hierdurch sollen selbstredend keinesfalls die Praxen der Behindertenhilfe mit den nationalsozialistischen Verbrechen gleichgesetzt werden. Vielmehr sollen die Fremdbestimmung und tiefgreifend verflochtenen, oft subjektiv wirkmächtig werdenden Abhängigkeiten benannt werden, denen Menschen mit geistiger Behinderung im Alltag immer wieder gegenüberstehen. Dabei entsteht - auch wenn nicht intendiert bzw. gegenteilig intendiert - oft allein durch politischbürokratisch- formalisierte Abläufe ein Prinzip von (für das Subjekt) fremder Herrschaft. Strukturen und Praxen der stationären Behindertenhilfe werden durch unterschiedliche Inanspruchnahmen und Interessen hervorgebracht, die sich teils ambivalent zueinander verhalten können. Umfassende äußere Vorgaben unterschiedlicher Kostenträger (Sozialhilfe, Pflegehilfe, Krankenkasse und weitere), normative Leitbilder, die seit einigen Jahren unter dem Begriff Inklusion kulminieren, Ansprüche und Erwartungen der Adressat*innen pädagogischen Handelns und/oder ihrer Angehörigen1 sowie (pädagogische) Maximen der pädagogisch Handelnden selbst sind nur ein Teil des interdependenten Bedingungsgefüges, in dem pädagogisches Handeln in der Behindertenhilfe situiert ist. Die Akteur*innen der fachwissenschaftlichen Bezugsdiskurse (u.a. der Sonderpädagogik) setzen sich eher wenig mit den daraus (potenziell) resultierenden Ambivalenzverhältnissen auseinander, da dort pädagogisches Handeln oftmals über das Bereitstellen von "Gelingensbedingungen guter Praxis" definiert wird, wodurch dieses auf vorgefertigte, pauschalisierende Handlungsentwürfe enggeführt zu werden droht (exemplarisch Theunissen, 2011; eine problematisierende Stellungnahme findet sich u.a. in Hummrich, 2016, S. 16). Dies erscheint problematisch, stehen pädagogisch Handelnde doch alltäglich Ambivalenzen2 gegenüber, die einer unterstützenden Aushandlung bedürfen. Es zeigt sich, dass sich die Frage nach dem pädagogischen Handeln beziehungsweise nach Möglichkeiten des pädagogischen Handelns in der Behindertenhilfe unvermindert und aktuell stellt. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, inwiefern ein adornoscher Blick auf pädagogisches Handeln in der Behindertenhilfe sowohl zur weitergehenden Problematisierung gegenwärtiger Strukturen und Praxen als auch zu einer (Re-)Aktualisierung beziehungsweise (Re-)Fokussierung der pädagogischen Maxime beitragen kann, "daß [sic] Auschwitz nicht noch einmal sei" (Adorno, 1966/1971a, S. 88). Adornos Erziehung nach Auschwitz sowie die darin entwickelte Idee von Kritik werden hierbei als (meta-theoretische) Analysefolie herangezogen, anhand derer Strukturen und Praxen der Behindertenhilfe verstanden werden sollen. Verstehende Praxen fokussieren das Besondere des Einzelfalls und zielen darauf ab, durch das "unvoreingenommene, radikale Sicheinlassen auf die jeweilige Besonderheit des Gegenstandes hindurch zum zugleich klärenden wie kritisch überwindenden, allgemeinen Begreifen der gesellschaftlichen Wirklichkeit [zu] gelangen" (Oevermann, 1983, S. 234). Indem eine Situation oder eine konkrete Fragestellung zum Gegenstand des Verstehens gemacht werden, kann ein "Zugang zur sozialen Wirklichkeit pädagogischen Handelns" (Hummrich, 2016, S. 14) eröffnet werden, der Strukturprobleme und möglicherweise damit einhergehende Ambivalenzen offenlegt und schließlich so der Reflexion zugänglich macht. Mit diesem verstehenden Ansatz wird Adornos Anspruch begegnet, die dahinterliegenden Strukturen zu erkennen und zu verstehen, die zur Hervorbringung bestimmter Subjekte führen (Adorno, 1966/1971a, S. 90). |
Erfasst von | Externer Selbsteintrag |
Update | 2022/3 |